Methoden für Lernen in komplexen Zeiten

Bei der heute beginnenden Edunautika in Hamburg biete ich unter anderem die Station zu ‚Methoden für das Lernen in komplexen Zeiten‘ an. Dieser Blogbeitrag ist eine Zusammenstellung der Ansätze, die ich vorstellen werde. Ich habe mit ihnen in meinen Lernangeboten gute Erfahrungen gemacht:

1. Zuhörer*in / Redner*in

Diese Methode nutze ich sehr gerne zum Einstieg. Sie hat zum Ziel, allen eine erste Orientierung zum jeweiligen Thema zu geben – ausgehend von den Erfahrungen aller Beteiligten. Die Methode ist sehr niederschwellig umsetzbar:

  • Jede Person erhält per Zufall eine Karte auf der entweder Zuhörer*in oder Redner*in steht. Auf jede Redner*in sollten ca. 2-3 Zuhörer*innen kommen.
  • Alle Beteiligten bewegen sich durch den Raum. Auf ein Signal halten die Redner*innen ihre Karte nach oben. Die Zuhörer*innen stellen sich zu einer Redner*in in ihrer Nähe. Keine Redner*in darf ohne Zuhörer*in bleiben.
  • Die Redner*in hat nun genau eine Minute Zeit, um zu einer gestellten Frage zu sprechen. Ich nutze dazu oft das Thema des Lernangebots und Frage nach eigenen Erfahrungen, also z.B: ‚Welche Erfahrungen hast Du mit einer Kultur des Teilens gemacht?‘. Die Zuhörer*innen hören nur zu. Sie fragen nicht nach und erwidern auch nichts.
  • Nach der Minute werden Karten getauscht und die nächste Runde beginnt. Ich mache meist 2-3 Runden.

Mir gefällt an der Methode gut, dass alle gefragt sind, sich einzubringen. Denn in der Regel wird jede Person mindestens einmal die Redner*innen-Karte erhalten. Bei einer offenen Runde zum Einstieg würden sich stillere Menschen eher nicht zu Wort melden. Zweitens mag ich den Fokus auf das Zuhören. Meiner Erfahrung nach entspannt es ungemein, dass man ’nur‘ Zuhören kann – und nicht direkt überlegen muss, was man darauf erwidert. Drittens ermöglicht die Methode für alle ein gutes Einfinden in das Thema. Alle Beteiligten haben danach eine gute Grundlage, um gemeinsam zu dem Thema weiter zu arbeiten.

2. Fragen vor Antworten

Dieser Aspekt ist eigentlich gar keine Methode, sondern eher ein Mini-Experiment, was sich ebenfalls gut zum Einstieg eignet. Es funktioniert so:

Alle Beteiligten erhalten Zettel, Stift und eine Frage. Die Aufgabe ist es, innerhalb von 2 Minuten ihre Antwort auf die Frage aufzuschreiben. Die Frage sollte eine Wissensfrage sein, zu der sich die Beteiligten nicht unbedingt ganz sicher fühlen, sie zu beantworten. Beispiel: ‚Was sind Learning Analytics?‘

In der Regel schreiben alle etwas auf. Nach der Minute stellt man die Frage, wer sich bei der Antwort sehr sicher war. Wenn die Frage gut gewählt und nicht zu offensichtlich war, meldet sich in der Regel niemand.

Dann kann man nachfragen, wieso dann trotzdem alle etwas geschrieben haben. Gemeinsam lässt ich herausarbeiten, dass wir alle sehr darauf konditioniert sind, Antworten zu geben, obwohl es in so vielen Fällen eigentlich erst einmal wichtiger wäre, Fragen zu stellen.

(Ich habe diesen Impuls aus dem Buch ‚Hey, nicht so schnell! Wie du durch langsames Denken in komplexen Zeiten zu guten Entscheidungen gelangst‘ und schon mehrere Male ausprobiert und für gut befunden. Es sorgt immer wieder für ‚Aha-Effekte‘. So war es auch bei mir, als ich zum ersten Mal damit konfrontiert war.)

3. Reframing mit Himmel und Hölle

Auch Punkt 3 ist eher ein Einstieg, als eine Methode. Er eignet sich besonders gut für die Ankommenszeit.

Alle Beteiligten erhalten eine Faltvorlage für ein ‚Himmel und Hölle‘-Spiel, das ihnen verschiedene Fragen zum Reframing vorschlägt. Unter Reframing versteht man den Ansatz, eine Situation aus einer veränderten Perspektive und auf diese Weise oft aufgeschlossener und positiver zu betrachten. Hier sind Beispiele für solch ein Reframing:

  • Das kann ich nicht -> Das kann ich lernen.
  • Das haben wir aber noch nie so gemacht -> Höchste Zeit, dass wir mal etwas Neues ausprobieren.
  • Das werden wir nie schaffen -> wir können mit einem ersten Schritt beginnen.

Im ‚Himmel und Hölle‘-Spiel befinden sich unterschiedliche Möglichkeiten, wie man eine Aussage reframen kann. Auf der Rückseite der Vorlage sind ein paar Beispiele aufgeführt. Indem alle Beteiligten zu Beginn eines Treffens ein solches ‚Himmel und Hölle‘-Spiel erhalten und im besten Fall auch direkt ein bisschen damit gemeinsam spielen, wird Reframing als Methode spielerisch eingeführt. In der dann folgenden Veranstaltung kann darauf dann immer wieder zurückgegriffen werden.

Hier kannst Du Dir das ‚Himmel und Hölle‘ Spiel zum Reframing als Kopiervorlage herunterladen. Es ist unter CC0 1.0 freigegeben.

4. XxX-Writing und Zusammenführung

Diese Methode stammt aus den Liberating Structures. Ähnlich wie die Zuhörer*in/ Redner*in-Methode schafft sie zu Beginn eine Orientierungszeit und hilft dabei, dass sich anschließend alle gleichermaßen beteiligen können. Die Idee ist sehr einfach:

Jede beteiligte Person nimmt sich Zettel und Stift. Die moderierende Person stellt nacheinander drei Fragen, die dabei helfen, eigene Erfahrungen zu rekapitulieren oder sich in das Thema einzufinden. Diese Fragen sollten jeweils passend zum Thema der Veranstaltung formuliert werden. Bei einer Veranstaltung zur Kultur des Teilens habe ich beispielsweise die folgenden Satzanfänge vorgeschlagen:

  • Einen Inhalt oder eine Idee mit anderen offenen zu teilen ist für mich …
  • Ich könnte besser teilen, wenn …
  • Eine völlig absurde Idee, die ich zum Teilen habe, lautet …

Zur ‚Auflösung‘ können die Beteiligten danach in 3er-Gruppen zusammenkommen und sich gegenseitig berichten, was sie aufgeschrieben haben. Ich nutze die Methode zum Teil auch, um damit direkt in die kollaborative Erarbeitung einsteigen zu können. Bei den obigen Fragen könnte man z.B. bei der zweiten Frae nicht nur einen Austausch machen, sondern auch die Aufgabe geben, dass jede Dreiergruppe einen für sie wichtigen Aspekt formulieren soll, der für besseres Teilen hilfreich wäre. Daran kann dann anschließend gemeinsam weiter gearbeitet werden.

5. Impulse als ‚Stille Post‘

In sehr vielen Fällen ist es hilfreich, in einem Workshop bei der Bearbeitung einer Herausforderung nicht von ganz vorne zu beginnen, sondern auf Erfahrungen und Vorarbeiten von anderen anzuschließen. Klassisch lässt sich dazu ein Input gestalten. Die interaktive Form davon ist die ‚Stille Post‘-Methode. Dabei werden die Impulse vorab auf Zettel geschrieben. Die Teinehmenden stehen in einem Kreis und jede zweite Person erhält einen Zettel. Diese liest den Zettel und stellt ihn dann der Person, die im Uhrzeigersinn nach ihr kommt kurz vor. Dabei ergänzt sie, was ihre Einschätzung dazu ist. Dann wird der Zettel an die zuhörende Person übergeben, die wiederum zur nächsten Person im Kreis geht und wiederum vorstellt und die eigene Einschätzung dazu gibt.

Anders als beim klassischen ‚Stille Post‘ Spiel muss also nicht weitergegeben werden, was die erste Person gesagt hat. Es lässt sich aber beobachten, dass die Einschätzungen der Teilnehmenden im Verlauf durch den Kreis immer qualifizierter werden. In jedem Fall erhalten alle zahlreiche Impulse, sind immer selbst aktiv und überlegen sich direkt, was ihr jeweiliger Bezug/ ihre Meinung zu einem Impuls ist.

Die Methode eignet sich gut, um beispielsweise Praxisbeispiele vorzustellen und danach in ein Brainstorming zur eigenen Ideenfindung einzusteigen.

6. Lego bauen

Lego bauen ist (fast) immer eine gute Idee in Workshops. Denn durch das – zu Beginn meist noch ziellose – Bauen mit den Legosteinen kommt das Denken in Gang. Ich nutze es gerne in der Ankommenszeit, so dass Teilnehmer*innen über ihre Bau-Aktivitäten direkt miteinander ins Gespräch kommen. Außerdem ist es auch ein guter Einstieg in ein Brainstorming. Als Bau-Aufgabe wird dann das jeweilige Thema gewählt. Beispiel: Wie sieht für Dich gute Bildung aus?

Es gibt extra zusammengestellte ‚Lego Design Thinking‘-Sammlungen. Diese haben den Vorteil, dass zahlreiche Sondersteine enthalten sind, mit denen vieles dargestellt werden kann. Wer Lego spielende Kinder hat, kann aber auch einfach eine Tüte davon für den Workshop ausleihen.

7. Rollenspiel

Um gemeinsam Herausforderungen zu bewältigen, lohnt es sich, aus unterschiedlichen Perspektiven darauf zu blicken. Ich habe dazu schon häufiger mit den ‚Kreativitätshüten‘ von de Bono gearbeitet und diese auch bei der letzten Edunautika vorgestellt.

Noch vielfältiger wird der Austausch mit einem QR-Code-Zufallsgenerator. Wenn Du den folgenden QR-Code scannst, kommst Du auf diese Website. Mit Klick auf den dortigen Button, wird immer wieder eine neue Rolle angezeigt. (Ich habe für diese Rollenzusammenstellung einiges an Output von ChatGPT genutzt und auch den Code habe ich mithilfe dieses Tools generiert). Die Azufgabe ist, dass die Teilnehmenden in der gemeinsamen Diskussion vor allem mit dieser Brile auf die Herausforderungen blicken.

Hier ist der QR-Code:

8. Gute Auswahl – im Koordinatensystem oder mit Interview

In Workshops kommt man fast immer irgendwann an den Punkt, dass man gemeinsam zahlreiche Ideen erarbeitet hat – und nun einige davon auswählen muss. Es gibt dazu viele mögliche Kriterien zur Auswahl. Ich nutze gerne diesen Weg:

Zunächst werden alle Ideen oder Ansätze gestrichen, die ohnehin klar oder selbstverständlich sind bzw. die kein gemeinsames Nachdenken und Kollaboration mehr erfordern. Alle anderen werden in dieses Koordinatensystem einsortiert:

Wie dargestellt werden dann die Ideen im oberen rechten Viertel ausgewählt. Besonders schön finde ich hieran das Auswahlkriterium der Begeisterung.

Eine alternative Möglichkeit zur Auswahl ist ein ‚Gruppenpuzzle-Interview‘. Dabei gehen jeweils zwei Personen aus einer Kleingruppe, in der gebrainstormt wurde, zu einer anderen Kleingruppe. Eine Person von ihnen ist Interviewer*in, die andere bekommt die Anzahl an Karteikarten, die an Ideen ausgewählt werden dürfen. Die Interviewer*in befragt nun die Personen, was sie gesammelt haben und was ihnen dabei wichtig ist. Die andere Person hört zu und schreibt dann letztendlich die Ideen auf die zugeteilten Karteikarten, die sie aufgrund des Interviews am hilfreichsten findet. Diese werden dann ins Plenum zurückgetragen.

9. ‚Hände hoch‘-Entscheidungspoker (und Regel des geringsten Widerstands)

Diese Methode habe ich zum ersten Mal beim Educamp erprobt und sie hat gut funktioniert. Ich habe sie ursprünglich in meinem Ideentagebuch entwickelt. Sie wird benutzt, um in einer Gruppe gefundene Vorhaben kollaborativ zu bewerten und Einigung zu finden.

Hier ist die Anleitung dazu:

  1. Die erste Karte mit einem Vorhaben wird vorgelesen. Auf ein Signal hin, heben alle ihre Hände nach oben und zeigen dabei eine Zahl zwischen 0 und 10 mit den Fingern an. 0 bedeutet dabei: Finde ich doof! 10 bedeutet: Finde ich cool!
  2. Wenn es vereinzelte Abweichungen gibt (z.B. fast alle sagen 9 oder 10, aber eine Person sagt nur 3), bekommt die abweichende Person Gelegenheit, um kurz auf ihre Position einzugehen. Danach wird die Abstimmung wiederholt.
  3. Die Punktezahl wird zusammengezählt und die Karte an einer Pinnwand entsprechend platziert.
  4. Mit den weiteren Karten wird ebenso verfahren.
  5. Wenn alle Karten platziert sind, bekommen alle Beteiligten Klebepunkte, die sie auf den Karten platzieren, bei denen sie am wenigsten mitgehen würden.
  6. Ausgewählt werden schließlich die 10 (oder eine andere Anzahl) am besten bewertete Karten, bei denen es den wenigsten Widerspruch gibt.

Hilfreich ist an dieser Methode, dass alle aktiv dabei sind und man auch in großen Gruppen sehr ergebnisorientiert zu Entscheidungen kommen kann.

Und sonst?

Die Stationen der Edunautika sind vor allem dazu gedacht, um miteinander ins Gespräch zu kommen. In diesem Sinne freue ich ich auf den Austausch heute Nachmittag und auf viele, weitere Anregungen. Allen, die nicht bei der Edunautika dabei sein können, wünsche ich viel Freude beim Ausprobieren!


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